Nach längerer Zeit mal wieder ein paar Gedanken zu meiner kleinen Reihe „Sprache im Fokus“: Ich hatte eine Facette der Thematik schon in Teil 1 der Reihe angerissen (dazu gleich): Heute, in Teil 4 der Reihe, geht es mir ausschließlich darum, was geschieht, wenn wir Begriffe aus dem anglo-amerikanischen Sprachraum 1:1 ins Deutsche übertragen.
To collaborate gleich kooperieren?
Beginnen wir der Erinnerungsauffrischung halber mit dem Aspekt, den ich bereits in diesem Teil 1 meiner Reihe „Sprache im Fokus“ kurz aufgegriffen habe. An dieser Stelle noch ein paar weiterführende Überlegungen: Es ist vor allem in der Beraterszene regelrecht zum Modewort geworden: kollaborieren. Wenn Individuen, Unternehmen, gesellschaftliche Institutionen ein gemeinsames Tun initiieren, sich zusammentun für bestimmte Vorhaben, Projekte …. Dann sprachen wir lange Zeit vom Kooperieren, einer Ko-Operation, einer Zusammenarbeit also. Und dann begann die allgemeine Faszination, ja fast Hörigkeit für Sprachschöpfungen aus dem anglo-amerikanischen Sprachraum – und auf einmal reichte das schlichte „Kooperieren“ nicht mehr. Es musste die Kollaboration sein, wir meinten, „kollaborieren“ zu müssen, kooperieren schien uns wohl zu schlicht …, vielleicht weil sich kollaborieren smarter liest oder anhört?
Als Petain und Hitler ihre Kollaboration vereinbarten
Um den sprachlichen Schwenk zu begründen, wird bisweilen kolportiert, die Kollaboration sei im Zusammenwirken noch enger als die Kooperation – nun, das ist zumindest von der reinen Definition her schlicht blanker Unsinn. „Collaboration“ heißt nichts anderes als „Zusammenarbeit“. In einer etwas vertiefenden Definition weisen Kooperation und „Collaboration“ fast den identischen Wortlaut auf: das gemeinsame Bemühen von mehreren Einzelpersonen oder Arbeitsgruppen, um eine Aufgabe zu bewältigen oder ein Projekt auszuführen.
Nun aber schleicht sich hinterrücks eine sprachhistorische Feinheit ein. Speziell im europäisch, eher frankophil geprägten Sprachraum steht der Begriff für ein, vom menschlichen Anstand (zum Anstand ein andermal) aus betrachtet, widerwärtiges Verhalten: Mit dem Feind, dem Unterwerfer zu paktieren, wie es unter der Petain-Ägide mit dem nationalsozialistischen Vernichtungsregime geschah. Der französische Staatschef Marschall Philippe Pétain und der Reichskanzler Adolf Hitler verabredeten am 30. Oktober 1940 die Kollaboration; fortan galt der Begriff des Kollaborateurs als der eines Überläufers … ganz sicher nicht die Intention der sich heute so smart dünkenden „Kollaborateure“ im Business-Kontext.
„Distance“ gleichbedeutend mit „Distanz“?
Damit zu einer weiteren Differenzierung im sprachkulturellen Kontext. Ein sehr bekanntes und bereits durchaus tradiertes Modell ist das des Kulturwissenschaftlers und Sozialpsychologen Geert Hofstede (1928 – 2020). Dieses Modell definiert Pole kultureller Denkstile und Verhaltensweisen, darunter eine, im Englischen (!), „High Power Distance“ versus einer „Low Power Distance“. Im Deutschen wurde daraus rasch und vermeintlich unkompliziert eine „Hohe Machtdistanz“ und eine „Niedrige Machtdistanz“. Wie aber ist „Distanz“ in der deutschen Sprachkultur attributiert, im Vergleich mit „Distance“ im Englischen? Mir zumindest schlich sich beim Begriff „Hohe Machtdistanz“ sofort die Assoziation einer bewussten Distanz zu Machtstrukturen in den Kopf, also einer kritischen Haltung etwa zu klassischen Hierarchien mit ihren starren Organigrammen und ihrem großen Abstand zwischen den Hierarchieebenen: Der Botenjunge und der CEO …Umgekehrt wertete ich spontan, aus meinem kulturell geprägten Sprachverständnis, eine „niedrige Machtdistanz“ als Bejahung von Machtstrukturen, als ein Fehlen kritischer Würdigung von Machtgefügen.
„Wir distanzieren uns entschieden“
Warum interpretierte ich in dieser Weise? Im Deutschen ist der Begriff der „Distanz“ eng verknüpft mit einem kognitiven Bewusstseinsprozess: ich wahre Distanz zu etwas, zu jemanden, ich halte mich bewusst fern, ich distanziere mich … wie oft hören wir diese Formulierung gerade auch im politischen Kontext: „Ich distanziere mich entschieden von dieser oder jener Meinung, diesem oder jenem Vorkommnis“. Der Niederländer Hofstede indes, dessen Modell im englischen Sprachraum beheimatet ist, spricht von „Distance“: Und damit ist im Englischen etwas anderes verknüpft als mit dem im Deutschen konnotierten Begriff einer geistigen Distanz. Mit „Distance“ ist der tatsächliche Abstand gemeint, der tatsächlich messbare, offenkundig zu Tage tretende Abstand, etwa zwischen zwei Objekten, aber auch der funktionale Abstand innerhalb klassisch hierarchischer Organigramme zwischen den oberen Führungsebenen und den „unten“ angesiedelten Mitarbeiterebenen. Die „High Power Distance“ von Hofstede adressiert also den tatsächlichen Abstand zwischen „denen ganz unter und denen ganz oben“ … und verknüpft damit als Geisteshaltung eine Bejahung dieses Abstands. Umgekehrt bedeutet die „Low Power Distance“ im Englischen sprachgenuin einen sehr geringen Abstand zwischen hierarchischen Ebenen, heutzutage gern als sog. flache Hierarchien apostrophiert, im Rahmen derer alle Protagonisten im Unternehmen große Kreativitäts-, Gestaltungs- und Autonomiespielräume haben (zum ebenfalls so oft missverstandenen, ja simplifizierten Begriff der Begriff der Autonomie ein andermal).
Wie sozial“ ist „social“?
Hüpfen wir nun weiter zu einem weiteren gravierenden Missverständnis übersetzungsbezogener Natur: Social Networks, abgebildet auf den Plattformen wie LinkedIn, mit einer Mischung, auf dieser Business-Plattform, vor allem aus Englisch und Deutsch … ja, hier werden in jüngerer Zeit doch zunehmend kritische Stimmen vernehmbar, wie „sozial“ denn solche Plattformen seien, wo sich doch vermehrt dort auch fragwürdige Positionen durchsetzen, an Gewicht gewinnen, vornehmlich politischer Natur, wo auch durchaus ein Klima bisweilen gedeiht, dass Gegenstimmen diskreditiert, versucht, mundtot zu machen …
Wenn bloßer Sachverhalt auf Moral trifft
Nun, dieses gesamte Geschehen ist fraglos nicht „sozial“ im Sinne unserer sprachkulturellen Konnotation im deutschsprachigen Raum: Erneut finden wir hier, bei „uns“, ein Verständnis von Sprache vor, dass mit tiefergehenden Assoziationen behaftet ist; „sozial“ in unserem Sprachverständnis der deutschen Sprache gilt als auch als der Gemeinschaft zugewandt, an ihr orientiert, mit einem Verantwortungsempfinden auch als Einzelner gegenüber der Gemeinschaft. Im englischen Sprachverstehen bzw. dessen Einordnung als Begriff indes firmiert „social“ als Verständnis eines gesellschaftlichen Miteinanders, nicht weniger, aber auch nicht mehr – ohne die dem Deutschen inhärente ethisch, gar moralische Einordnung.
Intelligenz vs. Intelligence: Alles identisch?
Und damit heute abschließend zu einer Übersetzung, mehr noch einem Phänomen, das in exponentieller Geschwindigkeit unser Sein beherrscht, uns in – je nachdem – hoffnungsfrohe Utopien katapultiert, oder finsterste Dystopien: Die sogenannte „Künstliche Intelligenz“ (KI), unmittelbar übersetzt aus der „Artificial Intelligence“. Ohne hier auf die gesamten Entwicklungen näher einzugehen (wie etwa „Chat GPT: Perspektive West„, zu dem es mittlerweile schon wieder etliche Varianten gibt): Von Beginn an habe ich mich massiv an dieser Begrifflichkeit der sog. Künstlichen Intelligenz gestört, betone immer wieder, es ist ein unbestreitbar derart hochentwickelter Algorithmus (übrigens als Rechenart schon seit Jahrhunderten in der Welt, keineswegs, wie oft fälschlich angenommen, der IT verhaftet), dass wir dessen Wahrscheinlichkeitsexplorationen oft nicht mehr zu folgen vermögen. Diese „kognitive Informatik“ ( die Universität Bielefeld versuchte mit ihrem Studiengang, leider vergeblich, einen weniger emotionalen, und damit marketingaffinen Begriff dafür zu etablieren) „jongliert“ mit einer Quantität der Daten und einer korrespondierenden Kombinationsschnelligkeit (und daraus entstehend neuen Wahrscheinlichkeiten) die für das menschliche Gehirn so nicht mehr fassbar sind.
Musterlernen ist etwas anderes als kreative Schöpferkraft
Dennoch: Das maschinelle System ist nicht intelligent in dem Verständnis unseres deutschsprachigen Sprachraums, dass darin auch eine emotionale oder gar eine schöpferisch-kreative Intelligenz schlummern würde. Eine, die bislang Gedachtes außer Kraft setzt … das ist im Radius der sog. Künstlichen Intelligenz nicht verortet, denn ihre Wahrscheinlichkeitsberechnungen zieht sie immer aus der Vergangenheit. Und seien es die Fragen, die ihr im digitalen Dialog gestellt werden, aus denen dieses System erneut lernt: Es sind Fragen, die im Moment der Frage bereits wieder der Vergangenheit angehören. Alles, was die sog. Künstliche Intelligenz „tut“, ist „Musterlernen“.
Und dies ist der entscheidende Punkt: Im Gespräch mit einem Netzwerkkollegen hatte ich mein Heureka-Erleben. Der Netzwerk-Bekannte hatte viele Jahre beruflich bedingt in den USA gelebt, und er sagte, dort wird „Intelligence“ als genau das verstanden, als „Musterlernen“, als etwas, was aus dem Vergangenem schöpft, um es durch Kombinationen in etwas Neues zu gestalten. Die Vision aber, auch das, was wir unter einem intuitiv-emotionalen Verstehen fassen, mehr noch, die Emphase, das Glück, auch das Leid, mit der wir als menschliche Spezies etwas kreativ Neues schaffen, etwa ein Musikstück komponieren, etwas schreiben, etwas zeichnen … alles dieses ist einem maschinellen System nicht eigen. Es ist aber eben dieses, was wir in unserem sprachkulturellen Kontext ebenfalls unter Intelligenz verstehen.
Teil 1 der Reihe: Sie kollaborieren proaktiv?
Teil 2 der Reihe: Gaukeleien zwischen Purpose und New Work
Teil 3 der Reihe: Entlarvende Phrasen
Beitragsbild: Bild von Gerd Altmann auf Pixabay