Als Führungskraft ist man stark und fehlerarm. Das sind die Grundvoraussetzungen für souveränes Führen von Mitarbeitern. So die weit verbreitete Meinung über die Grundvoraussetzung erfolgreichen Führens in Unternehmen. Aber was ist schon stark? Ist stark auch rabiat, kompromissarm, einsam? Reicht das Spiel mit den verbalen Muskeln und die vermeintlich klare Ansage? Wie fühlen sich derweil die Lenker von Menschen im deutschen Arbeitsprozess? Pferde bieten eine unglaublich eindrucksvolle Gelegenheit für Macher, Manager, ihre Führungskultur und ihre „Kunst zu führen“ zu hinterfragen. Die Erfahrungen läuten eine Zeitenwende ein.
Ein überraschendes Geburtstagsgeschenk
Er, das „hohe Tier“ in der Position des Abteilungsdirektors einer im Dax gehandelten großen Versicherungsgesellschaft, feierte im Rahmen eines Büroumtrunks für seine engsten Mitarbeiter seinen 50gsten Geburtstag. Der Jubilar starrte etwas ungläubig, beinahe verlegen auf ein Kuvert mit dem Inhalt eines Managementtrainings am Pferd: Ein Sammelgeschenk seiner eingeladenen Mitarbeiter. Der Abteilungsdirektor war eher erschrocken als erfreut über dieses Geschenk. Was trug diese Gabe als versteckte Botschaft in sich? War es am Ende eine Kritik an seinem Führungsstil? Wollten die Schenkenden den Chef einfach Mal auf eine Mutprobe stellen? Dr. Karl-Heinz L. trat etwas irritiert dieses Wochenendseminar „Managementtraining am Pferd“ an, hatte er doch keinerlei Berührung mit Pferden bislang aufzuweisen.
Sensible, empathische 500 Kilo
Die „ausgewiesene Stadtpflanze“, so Dr. L., betrat an einem sonnig warmen Frühlingswochenende einen durchaus ansehnlichen Gutshof. Die Kastanien blühten, Pferde wieherten in ihren Stallungen. Sieben der acht Teilnehmer standen bereits parat, um von mir, Autor dieser Zeilen sowie Businesscoach und Pferdetrainer, begrüßt und durch die Stallungen geführt zu werden. Keiner der Teilnehmer hatte offenbar zuvor Kontakt mit Pferden. Nach einer Einführung in die Historie und die Charaktereigenschaften von Pferden erfuhren die Seminarteilnehmer aus der hohen Managementebene die sehr enge Beziehung zwischen Pferd und Halter. Herausragend für die Teilnehmer war die Erkenntnis, dass ein solches 500 kg schweres Tier von sensibler Natur mit hohem Empathievermögen sei.
Furcht vorm pechschwarzen Wallach
Aus der Praxis für die Praxis war mein Motto als Trainer und als Ansage an die Führungskräfte. Dr. L. mit einer stattlichen Größe von 1.90 Meter erhielt beinahe beiläufig einen Führstrick in die Hand und die Ansage, Supreme, einen pechschwarzen Wallach, aus seiner Box zu führen. „Das traue ich mich nicht“, war die angstgeschwängerte Reaktion des Teilnehmers. Kneifen war im Programm nicht vorgesehen. Mit meiner Assistenz führte Dr. L. das mächtige Tier auf die Stallgasse. Dort angebunden, wurden alle Teilnehmer behutsam nacheinander mit Aufgaben betraut, sich mit dem Pferd näher zu beschäftigen.
Beobachten Sie das Spiel der Ohren!
Dr. L., sonst mutig, engagiert und vorwärtstreibend im Job, steht in zweiter Reihe und beäugt zwar neugierig, aber doch eher „mit einem gewissen Respekt“ das Geschehen. Fliegen umschwirren das große Tier. Nichts Besonderes in einem Stall, aber Supreme stampft einmal kräftig mit dem rechten Vorderfuß auf die Stallgasse, um sich dieser Insekten für kurze Zeit zu entledigen.
Das Klirren des Hufeisens auf den Betonboden lässt Dr. L. ängstlich zurückweichen. Das Tier steht wieder ganz ruhig auf der Stallgasse und wartet ab, was ich als Trainer meinen Schützlingen über das Verhalten von Mensch und Pferd vermittele. Sensibel sei das Tier und wohlwollend, erläutere ich. Pferde wollen geführt werden, genau wie Mitarbeiter im Betrieb. Die Seminarteilnehmer üben sich in der Beobachtung des Tieres. Was kann ein Mensch aus den nonverbalen Äußerungen eines Pferdes lernen? Das Spiel mit den Ohren: es bedeutet: „Ich bin ganz bei Dir, ich bin gut gelaunt und warte auf Deine Order“. Das ruhige Spiel mit dem Schweif bedeutet exakt dieselbe Botschaft im Einklang mit dem Spiel der Ohren.
Sympathiebekundungen zwischen Mensch und Tier
Seinen Kopf trägt Supreme aufrecht. Alles in ruhiger Bewegung. Plötzlich senkt Supreme langsam den Kopf und sucht vorsichtig Anlehnung an Miriam, eine Seminarteilnehmerin. Er nestelt an der Jacke der jungen Frau und zeigt offensichtlich Sympathie. „Du darfst mich ruhig anfassen und streicheln“, interpretiere ich diese Geste des Tieres. Miriam erwidert daraufhin die Geste des Pferdes durch leichtes Streicheln des Halses und stellt fest: „Fühlt sich gut an“, „ganz warm und weich“. „Ich spüre sowas, der mag mich“, sagt die junge Frau mit großen Augen und roten Wangen vor Aufregung. Auf dem Hof fährt der Bauer mit seinem Traktor etwas forsch um die Kurve. Er hupt, weil Hühner ihm im Wege stehen. Das findet der Rappe überhaupt nicht gut. Er reißt den Kopf hoch, legt die Ohren an und weicht etwas aufgeregt zurück. Die Unruhe überträgt sich auf die Seminarteilnehmer. Ich erkläre den Teilnehmern den Fluchtinstinkt des Tieres.
Menschliche Unsicherheit überträgt sich aufs Tier
„In der Ruhe liegt die Kraft“, erläutere ich meinen Eleven. Niemals hektische Bewegungen, niemals rabiate oder gar „handgreifliche“ Attacken! Pferdeköpfe sind groß. Noch größer ist jedoch ihr Erinnerungsvermögen! Jede Form von Gewalt, verbal oder non verbal, wird vom Pferd nicht goutiert. Was verbirgt sich hinter verbaler oder nonverbaler Gewalt? Meist ist es Ratlosigkeit, Verzweiflung, Orientierungslosigkeit des Menschen, der meint, seiner unzureichenden Kommunikation mit dem Pferd Nachdruck verleihen zu müssen. Das funktioniert nie! „Genauso wenig wie bei Ihnen als Führungskraft im Alltag“ mahne ich meine Kursteilnehmer. Ein kleiner Ausflug in die Management-Theorie: „Was braucht Ihr Mitarbeiter, um Ihre Anweisung erfolgreich umzusetzen?“ frage ich die Seminarteilnehmer. „Na, die klare Ansage“ tönt es aus Richtung von Dr. L. So überzeugend wie dieses Statement kam, möchte ich gerne eine Präzisierung dieser Aussage. Cordula, eine junge Abteilungsleiterin eines Münchner Verlages, und sicherlich diejenige Führungskraft mit der bislang geringsten Führungserfahrung dieser Seminarrunde, sagt: „Es braucht Respekt, Empathie und Klarheit“. Supreme hat offenbar verstanden, was die junge Frau geäußert hat. Jedenfalls schaut er neugierig in ihre Richtung und quittiert diese Äußerung mit einem fröhlichen Hufescharren.
Was zählt: Respekt, Empathie, Klarheit
Diese Äußerung bleibt so im Raume stehen. Dr. L. erhält den Auftrag, Supreme doch an einem Führstrick von der Stallgasse auf den Hof zu führen und dort an der Putzstelle anzubinden. Ein wenig ängstlich schaut der Proband in die Runde, hat aber seinen Auftrag verstanden und fixiert den Führstrick an einem Metallring des Halfters. Etwas ungelenk geht er Supreme voraus, zieht an dem Strick. Supreme bleibt wie angewurzelt stehen und rührt sich nicht von der Stelle. „Der will aber gar nicht“, stellt Dr. L. fest und zuckt mit den Achseln. Ich zitiere Cordula. „Versuch‘s doch mal mit Respekt, Empathie und Klarheit“…so wie Du das in Deinem Laden auch mit Deinen Mitarbeitern machen würdest.“ Dr. L. ist stark verunsichert. „Na, sprich halt mit dem Tier, und mach Supreme klar, was Du willst“, ermuntere ich meinen Seminarteilnehmer. Es ist spürbar, es liegt in der Luft, dass der erfahrene Abteilungsdirektor mit einer großen Personalverantwortung plötzlich an seine Grenzen der Führung stößt.
Sehr rücksichtsvoll und mit viel Geduld übt die Gruppe das Zusammenspiel von Empathie, Respekt und Klarheit. Bereits eine Komponente der Führung auslassend, verhindert die erfolgreiche Bewegung des Tieres in Richtung Putzstelle. „Erstaunlich“ entfährt es Dr. L. als erstem, als Supreme ihm beinahe liebevoll zum Putzplatz folgt. Was war anders als zuvor? „Na komm, Supreme, auf geht’s zum Putzplatz, Du bist doch ein gutes Tier“. Diese Worte waren begleitet von einem klaren Blickkontakt, aufrechter Körperhaltung und einem entschlossenen Klang der Stimme des Dr. L. Supreme steht felsenfest und angeleint am Putzplatz.
Wie es gelingt, das Pferd zum Follower zu machen
Mit hörbarer Unsicherheit in der Stimme gibt Valentin, Leiter einer süddeutschen Marketingagentur, auf Aufforderung des Trainers dem Wallach das Kommando, seinen linken Vorderhuf zu geben, nachdem ich zuvor auch hier mittels einer Demo den Teilnehmern gezeigt hatte, wie der Mensch erfolgreich dem 500 kg schweren Pferd den Vorderhuf aufnehmen kann. Nichts passiert. Das Pferdebein rührt sich nicht vom Fleck. Alles Ziehen, Drücken, lauter Sprechen führt nicht zum Erfolg. „Es ist zum Auswachsen“ murrt der Mittfünfziger. Ein neuer Versuch bringt den Durchbruch. Mit ruhiger, klarer Ansage, mit einem Entlangstreichen der Hand über das Vorderbein und merklicher Entschlossenheit bewegt Valentin das Vorderbein des Pferdes beinahe schwerelos in die Höhe. Er strahlt. So reiht sich eine Übung an die nächste, wie Supreme mit Klarheit, Respekt und Empathie im Miteinander zwischen Pferde und Teilnehmer zum engagierten „Follower“ wird. Klar, dass auch hier und da eine Belohnung in Form einer Möhre zusätzliche Motivation bei Supreme fördert.
Am Ende des ersten Seminartages sitzen nachdenkliche Teilnehmer im Reiterstüberl und diskutieren lebhaft die Übertragungsmöglichkeit der Erfahrungen am Pferd mit ihren Aufgaben als Führungskraft bei ihnen anvertrauten Menschen. Der zweite Seminartag (s. in Kürze Teil 2) ist auch ausgerufen als Tag der Kür, als Tag der wahren Führungskräfte. Es gilt die Erfahrungen mit Empathie, Klarheit und Respekt des ersten Tages in die Praxis umzusetzen. Alleine mit dem Pferd in der Reitbahn!
Fotonachweise: Rechte beim Autor
Teil 2 der Reportage zum Zwei-Tagesseminar
Über den Autor
Georg-W. Moeller ist Führungskräftecoach und Spezialist für Unternehmernachfolge. Seine Website: gwm coaching plus: Motivationscamp
Ladies, alle, die Ihr da seid und Freude bereitet: Ihr seid großartig. Tolles Format. Ich bin -wie immer – sehr begeistert.
Spannt mich ein, wenn ich irgendwas für Euch tun kann.
Liebe Grüße und empfangt den Heiligen Geist -irgendwie-
Euer Schorsch oder auch Georg
Lieber Georg,
dank dir für deinen Beitrag. Woran sich mein Hirn aber verhakt hat, ist die Aussage „Pferde wollen geführt werden, genau wie Mitarbeiter im Betrieb.“
Ich empfinde den Gedanken, dass Mitarbeiter geführt werden wollen, als nicht mehr zeitgemäß. Gewachsen aus der Industrialisierung hat diese Haltung sicher über Jahrzehnte hinweg ihre Daseinsberechtigung gehabt. Heute, denke ich, möchten Mitarbeiter mehr Eigenverantwortung und Selbstbestimmung, dazu braucht es Klarheit über das Warum und das Wohin, aber braucht es wirklich noch Führung? Und wollen Mitarbeiter geführt werden?
Die Beantwortung dieser Frage hängt sicher auch wesentlich von der Art der Arbeit ab. Regalauffüller und Reinigungskräfte brauchen da vielleicht mehr Unterstützung, als Mitarbeiter im Management.
Den Begriff Mit-Arbeiter finde ich in diesem Zusammenhang auch sehr erhellend. Arbeitet jemand mit oder wird er zu reinen Zu-Arbeiter degradiert.
Maike
Ooch Maike, wir könnten jetzt das Netz zum Qualmen bringen. Es gibt zu Führung unendlich viel zu sagen.
Meine kurze Antwort auf Deine Gedanken dort oben.
Führung heißt keineswegs „bevormunden“, gängeln, kleinteilige Vorgaben geben etc., also alles „Kleinteilige-Gestrige“. Hier stimme ich Dir 100% zu.
Führen heißt aber für mich: Mit einer klaren Vision, mit dem Ausleuchten des Spielfeldes, mit partnerschaftlich-fairen Zielen die große Richtung vorgeben als Leitlinie, als Leitplanke. Die Führungskraft stellt sich selbstverständlich der kritischen Prüfung der ihr anvertrauten „Mit-Arbeiter“- siehe oben- und lässt sich korrigieren, mehr noch „von unten nach oben führen“, um gemeinsam das Ganze zu optimieren. Das hört sich jetzt ziemlich philosophisch an, hat auch damit etwas zu tun! Mir ist wichtig, dass Erkenntnisse durch ein Höchstmaß an Fehlerfreundlichkeit zur steten Verbesserung der Aufgabe gehören. Am Ende verlangt aber jeder Mit-Arbeiter die klare Ansage: Wohin wollen wir genau! Wenn die klare Ansage der Führungskraft unterbleibt, entsteht in Windeseile Orientierungslosigkeit und Verunsicherung.Beispiele aus der öffentlichen Entwicklung der Pandämiepolitik sind hier nur ein Beispiel. Ein weiteres Beispiel:
die Ökologiebetrachtung in unserem Land. Last but not least: nimm den erfolgreichen Trainer einer Fußballmannschaft o.ä. Disziplinen. Die zur Mannschaft gehörenden Spieler sind alle topfit, können alle championsleague gut spielen. Der Trainer erkennt die Talente, die Fähigkeiten seiner „Schützlinge“, er (sie) evaluiert im Vorfeld die bevorstehende Aufgabe (das Spiel). Er (sie) analysiert die gegnerische Mannschaft. Im Abgleich zu dieser Analyse erstellt er (sie) den Spielplan: wer hat wo genau seinen Platz, an dem er (sie) sich im Team am wohlsten, sprich fittesten fühlt? Der TrainerIn zeichnet verantwortlich für die Strategie und die Taktik, dh. er, sie, gibt die klare Ansage, wie die Mannschaft optimal positioniert ist, um den Pokal nach Hause zu führen. Keiner der Spieler (Mit-Arbeiter) wird gegängelt, „verdonnert“, sondern im Team mit einem Maximum an Entfaltungsspielraum positioniert. Der Unterschied zwischen einem guten und einem noch besseren Trainer ist am derzeitigen Stand des FC Bayern abzulesen.
Von Herzen frohe Pfingsten.
Georg